Meine zweite Nepalreise
Eins ist klar nach meiner Rückkehr in 2015: so schnell wie möglich zurück nach Nepal! Gesagt, getan - zur besten Reisezeit im Oktober startet meine zweite Nepalreise. Diesmal möchte ich den Aufenthalt im buddhistischen Kloster nachholen und Freiwilligenarbeit auf einem Reisfeld leisten.
Doch zuvor gibt es zuhause ein Benefizkonzert, um Spenden zu sammeln. Mit überwältigenden 3.500 Euro im Gepäck steige ich aufgeregt in den Flieger und frage mich, wie ich mich wohl in Nepal fühlen werde und ob mich das Erdbeben noch beschäftigen wird.
Kaum in Kathmandu angekommen gibt es anlässlich des Diwali-Festes Essen und Tanz. Den Bauch voll mit leckerem Dal Bhat tanze ich zwischen den fröhlichen Nepalesen und frage mich, weshalb ich besorgt war. Die positive Stimmung fegt sämtliche Befürchtungen weg.
Die nächsten ein, zwei Tage verbringe ich damit, meine Lieblingsorte zu besuchen. Boudhanath wurde durch das Erdbeben schwer beschädigt und wird gerade saniert. Am Durbar Square liegen viele Steinhaufen von eingestürzten Gebäuden, so auch in Swayambunath, dem Affentempel. Überall gibt es Gebäude, die notdürftig mit Holzbalken gestützt sind.
Und dann geht es ins Kloster. Wieder eine neue Welt. Mit köstlichem Essen am Rande bemerkt. Ich darf an einer Puja teilnehmen (ähnlich wie ein Gottesdienst im Christentum). Es ist noch dunkel morgens um halb sechs. Die Zeremonie aus Gebeten, Gesang, rhythmischem Fingerschnipsen, sehr lautem Musizieren, der Geruch der Räucherstäbchen, die langsam aufgehende Sonne, der tibetische Buttertee, der dann gereicht wird - ein sehr intensiver Eindruck. Der Ausdruck in den Augen der Nonnen ist unheimlich interessant. Ich lese darin Freundlichkeit, Akzeptanz, Toleranz, Güte, Glück, Zufriedenheit, Bescheidenheit. Gefestigt und irgendwie angekommen erscheinen sie mir. Eine fast sichtbare Aura umgibt die meisten von ihnen. Die jüngeren sehen manchmal noch ein bisschen suchend aus und das finde ich irgendwie auch beruhigend.
Am zweiten Tag mache ich eine kleine Wanderung zum Shivapuri Peak. Und wie ich zum ersten Mal in der Ferne das Dach unserer Welt sehe, ein paar der höchsten Berge unserer Erde, dieses einzigartige Himalaya-Gebirge, hält mich nichts mehr im Kloster. Ich muss unbedingt mehr von diesem Land und vor allem dieser Landschaft sehen.
Neben Gastfreundschaft und Herzlichkeit zeichnen sich die Nepalesen durch Flexibilität und Spontanität aus. "Alles kein Problem" lautet die Devise und so endet mein Aufenthalt im Kloster abrupt. Die Nonnen haben dafür Verständnis und sollte ich eines Tages doch wieder kommen, bin ich auch dann herzlich willkommen.
Als nächstes geht es weiter raus auf's Land zu einem farming Projekt. Es ist gerade Reisernte in Gaujini und alles wird von Hand gemacht. Die Reispflanzen bündeln, einsammeln, ausdreschen. Die Reiskörner in Säcke füllen. Die schweren Säcke wegtragen. Innerhalb kürzester Zeit hat man eine komplett neue Sichtweise auf die Relation von Arbeit, Lohn und Preise. Gedanken um das eigene Konsumverhalten werden laut.
Nach ein paar Tagen beende ich die Freiwilligenarbeit und begebe mich auf die Reise ins Mustang-Gebiet, einem früheren Königreich. In Kathmandu steige ich in den Bus nach Pokhara. 7 Stunden für 200 Kilometer. Ich denke: das war jetzt aber nicht grad ne Kaffeefahrt. Nichts ahnend dass dies sehr wohl eine Kaffeefahrt war, verglichen mit der Busfahrt die mich am nächsten Tag erwartet. 9 Stunden für 60 Kilometer. In einem Wrack von Bus der nicht für 1,74 m große Mitteleuropäer konstruiert ist, geht es mehr hüpfend als rollend über die schlechten Straßen, oft nah am Abgrund - mit ohne Leitplanke versteht sich. Ich weiß gar nicht was schlimmer ist: dass ich mir ständig entweder die Knie am Vordersitz oder den Kopf an der Decke stoße oder dass selbst mir der Appetit vergeht, weil ich fast seekrank werde oder die Entscheidung ob ich lieber aus dem Fenster schaue oder nicht - ich weiß auch nicht was besser für die Nerven ist. Es kommt der Moment an dem ich mir sicher bin, dass ich mich beim nächsten Stopp heulend an den Straßenrand setze und auf den nächsten Bus in die andere Richtung zurück warte. Bijay, mein Guide sagt mir, dass es den aber erst wieder morgen gibt und wir das nicht machen. In der kurzen Mittagspause verzichte ich auf das Essen (wer mich kennt weiß um die Bedeutung) und schlafe innerhalb von Sekunden auf meinem endlich mal nicht ruckelnden Sitz ein. Und dann geht es für die nächsten Stunden weiter. Ich glaube ich kann hinter dem Bus herlaufen, das würde genauso schnell gehen und wäre angenehmer denn man muss sich während der Fahrt permanent festhalten, um nicht umherzufliegen. Noch zwei weitere Touristen sind mit mir im Bus und ihre Worte sprechen mir aus der Seele: this is the worst journey I've ever made.
Als ich aus dem Bus steige ist es genau so, wie wenn man von einem schwankenden Schiff kommt. Ich hab noch Seegang - und bin fix und fertig. Den Gedanken dass ich ja auch irgendwie wieder zurückkommen muss, hab ich im Bus gelassen. Der soll weiterfahren.
Aber dann kommt's halt doch wie im Märchen. Der Blick auf die Sieben- und Achttausender Dhaulagiri, Annapurna I, Nilgiri und Tukuche in der Abenddämmerung. Stolz, dass ich's durchgezogen hab und plötzlich hungrig, sitze ich bei einem leckeren üppigen Dal Bhat und freue mich auf die nächsten Tage - schon alleine weil keine Busfahrt ansteht.
Die kommenden Tage wandern wir durch das wunderschöne alte Königreich. Das Wetter ist perfekt, die Apfelernte steht an, die Landschaft ist atemberaubend. Der Ort Marpha hat es mir besonders angetan. Wir gehen bis Muktinath, einem Wallfahrtsort. Gleichzeitig kommen hier die Wanderer vom Thorong La Pass an, die auf der Annapurnarunde sind. Für diesmal bin ich am höchsten Punkt und es geht wieder zurück. Bevor ich wieder nach Pokhara fahre, mache ich einen Abstecher zum Poon Hill. In den frühen, dunklen Morgenstunden steigt man mit sehr vielen anderen Menschen von Ghorepani aus steil auf, um auf knapp über 3.000 Metern den Sonnenaufgang zu bestaunen. Es klingt ein bisschen kommerziell, touristisch oder kitschig, ist aber wunderschön. Ein Naturschauspiel ist ein Naturschauspiel. Punkt. Der Dhaulagiri, der es mir ohnehin auf meiner Tour angetan hat, zeigt sich in sämtlichen Nuancen die so ein Sonnenaufgang eben drauf hat.
Moments, not things.
Bijay sagt: wir fahren mit dem Jeep zurück nach Pokhara. Diese Nachricht hat bei mir Glücksgefühle hervorgerufen wie die über einen Mega-Lottogewinn.
In Pokhara bleibe ich noch zwei Tage und genieße die Wärme und die Infrastruktur.
Die Busfahrt zurück nach Kathmandu empfinde ich als ausgesprochen komfortabel. Der Mensch lebt vom Vergleich.
Und schon neigt sich meine Reise dem Ende zu. Pünktlich zu meiner Abreise hängen die nagelneuen Gebetsfahnen in Boudhanath.
Ich halte es mit Paulchen Panther: heute ist nicht alle Tage, ich komm wieder, keine Frage.
Meine Spenden sind im Blinden- und Waisenheim in Swaragau angekommen (siehe "Alle Projekte"). Der Ort liegt in der Gorkha-Region, wo das Epizentrum des Erdbebens war.